insights! Podcast-Folge #5: Interview mit Dagmar Groß-Böker.

Verfasst von Joubin Rahimi

29.03.2022 16:39:05

Unser Interview mit der Organisations- und Führungskräfteentwicklerin Dagmar Groß-Böker.

„Hybride Arbeitsmodelle haben wir Corona zu verdanken“ Corona hat eine Vielzahl von Unternehmen stark gebeutelt, sowohl aus Sicht der Mitarbeiter, als auch aus der Perspektive der Organisationsleitung. Doch die Pandemie habe auch ihre gute Seite, sagt die HR-Expertin Dagmar Groß-Böker. Im Gespräch mit Joubin Rahimi, Geschäftsführer der synaigy GmbH, erzählt sie, welchen Nutzen ihrer Meinung nach Corona für die Zukunft der Arbeit gebracht hat und woran es Führungskräften in unsicheren Zeiten oft noch mangelt.

Die meisten Menschen können das Wort Corona nicht mehr hören und wünschen sich nichts sehnlicher als die Vergangenheit zurück. Doch Dagmar Groß-Böker kann der Pandemie durchaus ihre gute Seite abgewinnen. „Wir haben es geschafft, endlich hybride Arbeitsmodelle auf den Markt zu bringen und wir haben die Chance, in allen Bereich der Organisation anders zusammenzuarbeiten.“

Traditionelle und eingefahrene Wege könnten nun im Zuge des Wandels verlassen und gegen zeitgemäße Arbeitsmodelle ausgetauscht werden. Auf Führungskräfte kommt nach Ansicht von Dagmar Groß-Böker eine Zeit der Selbstreflexion zu. Die wüssten zwar in der Regel, welche Dinge gefragt seien und welche Strukturen und Prozesse geändert werden müssten. „Aber sie vergessen darüber oft die Themen Leading Myself und Leading my People.“ Also Empathie und Achtsamkeit in ihren täglichen Führungsstil zu integrieren, dass sich die Menschen abgeholt fühlten. Denn beileibe nicht jeder, der seine Arbeit seit Monaten im Homeoffice erledigt, fühle sich dabei wohl in seiner Haut.

Darüber hinaus wünscht sich Dagmar Groß-Böker, dass Führungskräfte nicht nur ihre Vernunft walten lassen. Auch die Intuition sollte Eingang in tägliche Prozesse finden. „In Kombination mit dem Ratio macht Intuition einfach noch mal eine ganz andere Welt auf“, sagt die langjährige Beraterin.

Also weg vom Schwarz-Weiß-Denken und hin zu einem Mindset, der auch ein Sowohl-als-auch zulasse. „Das ermöglicht uns ein ganz anderes, nachhaltigeres und offeneres Arbeiten mit Dingen, die wir bisher noch nicht gesehen haben.“ Wenn sich eingefahrene und bekannte Prozesse ändern, führe das bei manchen Menschen zu Angst und Unverständlichkeit, sagt Dagmar Groß-Böker. „Sie verstehen die Dinge nicht mehr, weil die Welt immer komplexer wird.“
Diese Veränderungen wären aber auch ohne das Zutun von Corona eingetreten. Experten schrieben dem Phänomen längst das Akronym BANI zu – vier Buchstaben, die aus dem Englischen übersetzt für zerbrechlich, ängstlich, nicht linear und unverständlich stehen. Corona hätte BANI nur verstärkt an die Oberfläche gespült. Daher empfehle sie Führungskräften mit Blick auf die Zukunft, „an manchen Stellen umzudenken“.

 

 


Du möchtest lieber lesen? Hier ist der Podcast-Inhalt:

Joubin Rahimi: Herzlich willkommen, Dagmar! Danke, dass Du gekommen bist.

Dagmar Groß-Böker: Schön, vielen Dank!

Joubin Rahimi: Auf dem hohen Berg, auf dem Hügel, unser Gipfeltreffen. Magst Du unseren Zuhörern ein wenig etwas zu Dir erzählen?

Dagmar Groß-Böker: Ja, gerne. Du sagtest ja schon, ich bin die Dagmar Groß-Böker. Ich bin seit 2015 selbstständig als Berater, Trainer und Coach und mein Hauptfeld ist das Thema Begleitung von Organisationen in agilen Transformationsprozessen, mit dem eigentlichen Schwerpunkt, das ganzheitlich zu machen. Also nicht nur einfach, wir machen jetzt Prozesse agil oder transformieren Prozesse oder Strukturen, sondern wir nehmen auch Kulturen und Menschen mit und gucken natürlich auch Führungsthemen und solche Sachen.

Joubin Rahimi: Wir durften ja schon ein bisschen mit Dir zusammenarbeiten die letzten Jahre. Das hat uns immer begeistert als Unternehmen. Für uns stellt sich gerade jetzt in der Pandemie die Frage, wie wir uns als Firma für die Zukunft aufstellen. Und auch viele unserer Zuhörer stehen vor dieser Herausforderung. Was macht der Retailer? Hast Du da so ein, zwei Punkte aus Deiner aktuellen Arbeit, wo Du sagst, das wäre spannend zu erfahren und mitzugeben?

Dagmar Groß-Böker: Ja, es gibt natürlich ganz viele Sachen. Vielleicht erst mal einen Schritt zurückzugehen, zu sagen, auch wenn die Pandemie uns alle natürlich jetzt gerade fürchterlich nervt und wir die vorbei haben wollen, sie hat auch viel gemacht, was einfach positiv ist. Wir haben es geschafft, endlich hybride Arbeitsmodelle auf den Markt zu bringen. Und das wäre schon direkt ein Ding, wo man sagen kann, das wird das sein, was auch die Unternehmen, egal in welchem Bereich, nach vorne gebracht hat. Einfach Dinge verändert zu sehen, vielleicht ein Stück weit weg von den traditionellen Weisen, die im E-Commerce-Bereich ja nie besonders gesettlet waren, die Chance haben, mit allen Bereichen in der Organisation anders zusammenzuarbeiten. Ganz, ganz, ganz klar ist das ein Vorteil. Andererseits hätten wir auch unabhängig von der Pandemie dieses ehemalige VUCA-Thema, dass man sagt, wir haben eine große Volatilität, wir haben Komplexität. Übrigens ist dieses VUCA durch den neuen Begriff BANI abgelöst worden.

Joubin Rahimi: Was bedeutet BANI?

Dagmar Groß-Böker: BANI ist auch ein Akronym. Ich finde Akronyme eigentlich schrecklich, aber das erklärt so vieles und macht es manchmal einfacher. Also BANI heißt brittle, das heißt, wir haben eine Zerbrechlichkeit. Wir haben das A für anxious, was heißt, wir sind ängstlich mit den Themen. N für non-linear, wir haben keine Linearität. Früher zum Beispiel gab es eine Ursache für irgendwas und wir wussten, die Wirkung ist so. Und durch Komplexitätsthemen haben wir mittlerweile keine Klarheit mehr, was die Ursache, was die Wirkung nachher sein wird. Und der letzte Buchstabe I steht für incomprehensible, wir verstehen die Dinge gar nicht mehr so genau. Und das führt natürlich dazu, dass wir in einer Welt leben, die für uns sehr unverständlich sein wird. Wir brauchen irgendwelche Mechanismen und Methoden, und dafür gibt es das Akronym, um zu sagen, was leiten wir denn davon ab? Wie können wir denn da jetzt auf einem anderen Weg sein? Und schön ist, dass bei BANI, im Gegensatz zu VUCA, die Pandemie mit reingekommen ist. Also so Sachen, dass wir plötzlich nicht mehr zum Friseur oder ins Restaurant gehen können. Ganze Branchen sind ja ganz stark betroffen. Das führt dazu, dass wir alle, speziell jetzt auch Führungskräfte, und Du hast gerade die E-Commerce-Leiter angesprochen, an manchen Stellen umdenken sollten und könnten.

Joubin Rahimi: Was wären Deine Top-3-Maßnahmen, wenn Du neu in eine Firma kommst? Was würdest Du Dir anschauen?

Dagmar Groß-Böker: Es sind manchmal Sachen, die hört man jetzt gar nicht gerne. Ich würde die jetzt auch nicht so gerne hören, muss ich zugeben. Das Thema ist, dass wir uns einfach auf drei Sachen fokussieren müssen in der Führung. Und wir sagen meistens sehr, sehr schnell, Leading my Business. Und das können wir alle relativ gut, glaube ich. Wir wissen, was wir zu tun haben. Wir wissen, was für Sachen gefragt sind. Wir wissen vielleicht, wie wir gewisse Dinge in Strukturen und Prozessen ändern müssen. Wir vergessen dabei oftmals das Thema Leading Myself, also wie schaffe ich zum Beispiel, Achtsamkeit und Resilienz für mich selber zu haben? Oder wie schaffe ich das Thema Leading Others oder Leading My People guthinzubekommen? Und da würde auch das Thema Achtsamkeit und Empathie hinzukommen, also das Verständnis dafür, wie sich Leute in Organisationen aufgrund der Pandemie gerade fühlen oder wie sie damit klarkommen. Auch dafür ist eine Führungskraft da. Und vielleicht auch ein Beispiel aus der Praxis, wir hatten im Vorfeld schon darüber gesprochen: Hybride Führung oder hybrides Arbeiten bedeutet ja, dass ein ganzer Teil der Menschen in irgendwelchen Homeoffices sitzt, aber da gar nicht sitzen will. Und warum wollen die da nicht sitzen? Weil denen der Kontakt zum Menschen fehlt. Und mit Empathie schaffe ich es zum Beispiel eher zu sagen, okay, wer ist denn jetzt wer von den Leuten, die da sitzen. Nicht unter dem Kontrollaspekt, sondern unter dem Aspekt, dass ich versuche, den Menschen da abzuholen, wo er wirksam arbeiten kann.

Joubin Rahimi: Und das ist dann unterschiedlich, denke ich mal, das hängt vom Menschentyp ab. Gibt es da eine pauschale Regelung?

Dagmar Groß-Böker: Wenn man lange genug im Business ist, sieht man schon, ob jemand mehr auf die Arbeit fokussiert ist oder mehr auf den Menschen. Leute, die sehr, sehr kontinuierlich arbeitsorganisiert unterwegs sind und sich auf Details konzentrieren, sind eher die Leute, die auch gerne im Homeoffice arbeiten, ungestört sind. Während den Leuten, die Menschen zum Arbeiten brauchen, die mehr als Team kooperieren wollen, das einfach fehlt. Denen fehlt einfach der Kontakt zu anderen Menschen, in der Kaffeeküche auch mal ein Kaffee zu trinken. Auch das Socializing macht ja ganz viel einer wirksamen Arbeit aus.

Joubin Rahimi: Zwei Sachen will ich jetzt erneut miteinander verknüpfen, einmal OKR, da machst Du ja auch ganz viel. Und auf der anderen Seite die Persönlichkeitsanalysen. Ich kenne zum Beispiel dieses Modell mit den vier Farben. Gibt es da Korrelation, dass man gesagt, diejenigen, die Details lieben, sind eher die Blauen in dieser Persönlichkeitsanalyse? Der liebt dann eher Homeoffice. Und der Grüne ...

Dagmar Groß-Böker: ... Der Grüne braucht die Harmonie. Gelb und Grün würden da wahrscheinlich lieber auch mal im Office sein, um sich mal austauschen zu können.

Joubin Rahimi: Habt Ihr da Erfahrungen in Bezug auf OKR, Zielerreichung und so weiter?

Dagmar Groß-Böker: Da würde ich jetzt gar nicht so eine große Korrelation machen. Das eine ist für mich eine gute Methode, um Ziele agil und adaptiv in der Organisation von der Vision in die Teams und bis zum Einzelnen herunterzubrechen. Man kann höchstens ableiten, dass es vielleicht bei dem einen oder anderen Persönlichkeitsprofil erst mal eine Fragestellung gibt: Warum machen wir das jetzt?
Es gibt Menschen, die eher sagen, ja, darauf habe ich Bock, da mache ich mit. Während andere vielleicht sagen, schon wieder etwas Neues? Das ist vielleicht der Unterschied.

Joubin Rahimi: Wie können Firmen diese unterschiedlichen Typen von Menschen gut einfangen? Gibt es da Mechanismen, die gut funktionieren?

Dagmar Groß-Böker: Das sind wir wieder beim Thema Leading Others, ins Gespräch kommen und fragen: Was brauchst Du eigentlich, um gut zu arbeiten? Die Leute sagen das von selber oftmals gar nicht, sie wissen es vielleicht gar nicht. Aber wenn sie darüber nachdenken, sagen sie vielleicht, ich brauche eine ruhige Ecke für mich, ich brauche meinen festen Arbeitsplatz, ich brauche den Blick hier raus. Das heißt nicht, dass das alles erfüllt werden muss. Ganz klar nicht. Aber ich kann dann verstehen, wie dieser Mensch tickt. Ein anderer sagt, ich brauche täglich meine Kaffeeküche und ich brauche täglich Networking mit den anderen Bereichen. Dann ist es ganz klar, wie man da eigentlich vorgehen müsste. Nur nicht darauf vertrauen, dass man immer automatisch das Richtige tut, indem man die Gießkanne nimmt. Das tut man definitiv nicht.

Joubin Rahimi: Also nicht alles ermöglichen, sondern sagen, wir geben ein Modell vor. Es gibt wahrscheinlich zwei Haupttypen: Diejenigen, die dazu neigen, zu Hause zu arbeiten, in aller Ruhe. Und es gibt diejenigen, die das Vernetzte, das Physische brauchen.

Dagmar Groß-Böker: Richtig. Und was man auch noch sagen muss: Selbst wenn jetzt jemand gerne zu Hause arbeitet, kann es sein, dass da eine pflegebedürftige Mutter ist, dass da zehn schreiende Kinder sind, ein arbeitsloser Vater. Wenn also jemand zu Hause arbeiten will, heißt das noch nicht, dass es auch wirklich zu Hause gut geht. Ich kenne eine Organisation, die den Mitarbeitern die Möglichkeiten gibt, sich einfach in so einem Co-Working-Space einzuquartieren, solange es nötig ist. Was eine gute Lösung ist, um einfach in Ruhe irgendwo zu arbeiten, wenn es nicht in der Firma sein kann.

Joubin Rahimi: Das ist auch eine gute Idee. Hast Du zum Abschluss noch zwei, drei Tipps, die Du Führungskräften mitgeben möchtest?

Dagmar Groß-Böker: Ich habe ja schon so ein paar Sachen gesagt. Eine Sache wäre da definitiv noch, weil ich weiß, dass im E-Commerce-Bereich natürlich auch viele Blaue dabei sind. Sehr blau im Sinne von ins Detail gehende Menschen. Dass diese vielleicht zulassen, auch mal mit Intuition vorzugehen. Ich habe dazu Diskussionen schon ewig geführt. Nein, wir müssen rational entscheiden, à la Amazon, das ist ja komplett immer rational. Aber ich glaube, wir brauchen einfach an manchen Stellen auch das Thema Intuition, was ja oftmals Frauen nachgesagt wird. Ich bin sicher, Männer können das auch.

Joubin Rahimi: Glaubst Du an uns?

Dagmar Groß-Böker: Ich glaube ganz fest daran. Intuition in Kombination mit dem Ratio macht einfach noch mal eine ganz andere Welt auf. Früher war immer „entweder oder“, „schwarz oder weiß“, „gut und böse“ – wir sollten lernen, „sowohl als auch“ zuzulassen, also sich nicht auf einer Bühne zu verlieren oder Angst zu haben, wenn ich plötzlich „sowohl als auch“ zulasse. Das geht sehr gut und ich glaube, das ermöglicht uns ein ganz anderes, nachhaltigeres und offeneres Arbeiten mit Dingen, die wir bisher noch nicht gesehen haben. Das waren jetzt zwei Dinge.

Joubin Rahimi: Das waren zwei wundervolle Dinge! Herzlichen Dank. Ich hoffe, es hat Euch auch gefallen. Wir freuen uns auf die nächste Session, seid dabei!

Themen: insights!

We create customer future thru digital commerce

Die Welt der Digitalisierung dreht sich schnell und schneller. Bleiben Sie auf dem Laufenden und abonnieren Sie unseren Blog. Regelmäßig erhalten Sie neue Impulse und Einsichten und sind damit am Puls der Zeit.

synaigy blog abonnieren